Klassische Sprachen und die Stiftsschule. Ein Interview mit Francesco De Vecchi

von Lizzy Tschirky und  Katharina Braun


Francesco De Vecchi, gebürtiger Bündner, unterrichtet die Klassischen Sprachen an der Klosterschule.

Herr De Vecchi, Sie sind ein Neuzugang an unserer Schule. Wie haben Sie sich mittlerweile eingelebt?
Gut, danke. Obwohl ich erst seit Anfang Schuljahr hier unterrichte, bin ich seit meiner Kindheit oft in Einsiedeln gewesen. Ich habe schon an vielen Schulen unterrichtet. Etwas zeichnet die Stiftsschule vor allen aus, was es mir sehr lieb macht, hier zu sein. Ich beschreibe meine Erlebnisse hier als ernsthaften Umgang mit den Schülern: Schüler und Lehrer begegnen einander auf Augenhöhe. Hier gibt es das nicht, was die Bildungspolitik mit «beschult werden» bezeichnet: An der Stiftsschule vermittelt man den Schülern nicht nur Stoff, sondern eben auch Haltungen, Lebenseinstellungen. Besonders beeindruckt mich die Morgenbesinnung, die der Schule und dem Unterrichten etwas Würdiges verleiht und betont: Hier passiert etwas ganz Besonderes.

Wie die Besinnung lebt auch das Fach Latein wegen des Klosters an der Schule weiter. Das ist eines Ihrer Fächer. Welche unterrichten Sie noch und wie haben Sie sich für diese entschieden?
Ich unterrichte hier Latein und Griechisch. Griechisch hatte ich zwar nicht am Gymnasium, weil es für einen Kurs zu wenig Leute waren, doch ich lernte es an der Universität, wo ich Politikwissenschaften und Philosophie studierte. Mir wurde bewusst, dass man ohne Griechisch keinen vollständigen Zugang zur Geisteswelt hat. Die alten Sprachen ermöglichen einen tiefen Einblick in unsere Kultur: Sie öffnen einem die Augen in Bezug auf Kenntnisse, die man jahrelang als Kuriositäten mit sich herumgetragen hat. Plötzlich beginnt die Welt farbig, plötzlich lebendig zu werden. Als ich Germanistik studierte, wurde mir bewusst, wie sich andere nur schon mit Fremdwörtern plagen und sie falsch verwenden. Oder wie sie über Goethe sprechen. Oder den Nietzsche auslegen. Natürlich geht das ohne Anbindung an die Antike, nur werden sie vor dem Klassischen Hintergrund noch einmal interessanter, noch facettenreicher. Ich habe bemerkt, wie man ein nachgefragter Gesprächspartner wird, dadurch, dass man eine Klassische Bildung hat. Diese Sprachen zu lernen ist freilich keine Kleinigkeit. Sie sind komplex, verlangen eine grosse Anstrengung. — Aber das ist kein Argument gegen sie, im Gegenteil vielleicht: Man lernt ernsthaft und wächst nur aus dem, wofür man gearbeitet, woran man verzweifelt und worunter man gelitten hat. Und die beste Zeit dafür ist das Gymnasium. Die grosse Zeit des Leidens an der Antike, die Zeit der Leidenschaften. Daher sage ich meinen Schülern, dass sie durch das Lernen der antiken Sprachen zu Menschen werden.

Empfinden Sie den Ausdruck «tote Sprache» als Provokation?
Nein. Er zeugt von Unwissen; ja gut, das kann auch manchmal provozieren. Zunächst ist die Rede vom Sprachentod eine metaphorische: Man tut so, als wäre die Sprache ein Lebewesen, das sterben könne. Mehr als ein Lebewesen scheint mir Sprache allerdings ein Erfahrungshorizont derer zu sein, die an der Sprache partizipieren: Ein Bedeutungs-Raum, in dem wir uns bewegen. Und solche kulturelle Behältnisse sind zäh und sterben nicht einfach und sind weg. Sie transformieren sich vielmehr.
Man könnte es auch anders sehen: Mit Spanisch, Italienisch und den anderen sogenannten romanischen Sprachen liegen uns spätere Entwicklungen, dialektale Sprachstufen des Lateinischen vor. Wie tot ist nun dieser Tod?

Die alten Sprachen haben eine sichtbare Stellung in Ihrem Leben. Wie reagieren Sie darauf, dass andere Schulen sie nicht unterrichten?
Ich finde es schade. Natürlich geht`s auch ohne Latein, ohne Griechisch. Die Klassische Bildung hat einen kümmerlichen Status in der Schweiz.

Welche Erfahrungen motivierten Sie, die Klassischen Sprachen zu Ihrem Beruf zu machen und was würden Sie den Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg geben?
Die stärkste Erfahrung machte ich im Freihandbereich der Universitätsbibliothek in Basel. Mir gelang es, in einem platonischen Dialog erstmals intuitiv zu lesen. Hast Du Dir schon einmal vor Augen geführt, dass diese Texte mehr als zweitausend Jahre alt sind? Und dass wir sie lesen und so gut verstehen können? Ich halte dies für ein Wunder.

Vielen Dank für das Interview!

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