Ausculta! Die Einsiedler Glocken

Die Schulseelsorge wählte für das aktuelle Schuljahr das Motto «Ausculta. Hör hin». Latein- und Griechischlehrer Francesco De Vecchi wurde dabei auf den Klang der klösterlichen Glocken aufmerksam. Ein Schüler der 1.Klasse hatte sich bei ihm nach der Funktionsweise derselben erkundigt und so begab sich Herr De Vecchi auf die Suche nach einer Antwort. Spontan formierte sich eine kleine Lehrer- und Schülergruppe, die sich am 11. November, dem Martinstag, auf die Spuren der Einsiedler Glocken machte. Dabei lernten sie auch den «Glöckner von Einsiedeln», Bruder Alexander, persönlich kennen.

Der Glöckner von Einsiedeln, Bruder Alexander

Das Kloster Einsiedeln wird von zwei markanten Türmen überragt, dem Südturm und dem Nordturm. Ersteren konnte die Teilnehmer des Projektes in der Mittagszeit über steile Treppen empor erklimmen. Insgesamt 12 läutbare Glocken beherbergen die Türme, sie sind alle aus Bronze gegossen. Das wichtigste Schmuckstück ist dabei die 5,8 Tonnen schwere Dreifaltigkeitsglocke aus dem 17. Jahrhundert. Um sie zu läuten, brauchte es bis zur Elektrifizierung acht Knechte – eine kräftezehrende Tätigkeit, die den Männern in den Wintermonaten nur zu Mariä Geburt und Weihnachten zugemutet wird.  Aufgehängt ist die Dreifaltigkeitsglocke auf einem massiven Glockenjoch, in das auch die aus aller Welt stammenden Gönner, die die Restauration des Geläutes vor wenigen Jahren ermöglichten, eingeschrieben sind (ein Link der Instandsetzungsarbeiten am Ende des Artikels). Die Glocke selbst ist reichlich mit Ornamenten verziert und weist auch eine lateinisch verfasste Glockeninschrift auf: «Te deum patrem ingenitum, te filium unigenitum, te spirtium sanctum parcletum et individuam trintitatem toto corde et ore confitemur laudamus atque benedicimus – tibi gloria in saecula.» («Dich ungezeugten Gott Vater, Dich einziggeborenen Sohn, Dich Fürsprecher heiligen Geist und ungeteilte Dreifaltigkeit bezeugen wir aus ganzem Herz und Mund, loben wir und preisen wir – Dir sei Ehre in Ewigkeit.).  Dieser Segen soll durch den Klang der Glocke in die Welt getragen werden und Kloster und Umgebung Segen bringen.

Blick vom Nordturm

Läutordnungen seit dem Mittelalter

Darüber hinaus dienen die Glocken aber bis heute auch der Angabe der Zeit. Im Viertelstundentakt schlägt die Einsiedler Glocke im Nordturm, zu besonderem Anlass auch parallel oder mehrstimmig mit mehreren Glocken, als «Pärchen» oder «im Plenum». Eine Besonderheit ist das von Cluny übernommene Reihenläuten, das in Einsiedeln das «Einsiedler Reihenläuten» heisst und auf die Verbindung mit der hochmittelalterlichen Reformbewegung hinweist. Eine eigene «Läutordnung» regelt seit Jahrhunderten dabei Einsatz und Dauer des Geläuts. Bruder Alexander wies hier auf ein zumindest vermeintliches Kuriosum hin: Bei der Beerdigung eines Mannes läutet die Glocke 10min mit einer Unterbrechung nach 5min, bei einer Frau 10min ohne Unterbruch; «Keine Diskriminierung», wie Bruder Alexander betonte.

Der Glöckner von Einsiedeln

Bruder Alexander selbst, seines Zeichens Pförtner und Glöckner des Kloster Einsiedeln, ist seit 37 Jahren mit nicht nachlassender Begeisterung im Dienst. Am 1. Juni 1983 trat der aus dem südlichen Schwarzwald stammende Mönch in das Kloster Einsiedeln ein und geht bis heute mit grosser Freude seinen Aufgaben nach: «Mein Vorgänger erkannte mein Interesse an den Glocken. So konnte ich schliesslich diese Aufgabe von ihm übernehmen.». Besonders wichtig ist ihm auch der Unterschied zwischen dem Läuten und Schlagen einer Glocke: «Die Stunde schlägt», das heisst, die Uhrzeit wird durch einen Schlaghammer auf die Glocke geschlagen, ansonsten «läutet» die Glocke, indem sie selbst hin und her schwingt. Ihre Schwingungen werden dabei vom Holzstuhl abgefangen, einer Holzkonstruktion, die die Glocke trägt. Der Holzstuhl schwingt im Turm je eine Handbreit hin und her mit der Glocke mit und schont so den Steinturm.

Nach Unterrichtsschluss stand ein weiterer Ausflug am Programm. Die beteiligten Schüler und Lehrer waren im Küchenstübli des Stifts zum Abendessen eingeladen und lernten dort auch P. Theo Flury, den Organisten und Komponisten des Klosters, persönlich kennen. Dieser hatte im Vorfeld schon an seinem Beitrag zur «Glocke» gearbeitet und einen Impulsvortrag zum Thema «Glockenweihe» vorbereitet, den er mit Orgelvariationen ausgestaltete.

Abaris Schild liest Schillers Glocke

Schillers Lied von der Glocke

Die Schüler, Abaris Schild (4c) und Melchior Eppenberger (1a), wagten sich an eine Darbietung eigener Art. Sie rezitierten im Korridor des Schulhauses, Abaris Schild dabei aufgehängt an einem nachgebauten «Glockengerüst», Schillers 19 Strophen umfassende Ballade «Das Lied von der Glocke». Auch interessierte Eltern waren inzwischen dazugestossen und hörten oder entdeckten nach Jahrzehnten wieder einmal Schillers lyrische Ausgestaltung eines Glockengusses. Die Glocke steht dabei anfangs «fest gemauert in der Erde», bis am Ende der Meister die Form zerbricht, die Glocke auf den Namen Concordia getauft wird und sie schliesslich in das «Reich des Klanges» hochgezogen werden kann. Dort möge sie dann, wie es im letzten Vers heisst, der Stadt Friede und Freude verkünden.

Früher wurden auch Glocken getauft.

Glockenklang und Dreifaltigkeit

P. Theo Flury ergänzte Informationen zur Weihe einer Glocke und schlug dazu in liturgischen Büchern nach. Offenbar gab es von der fränkischen Zeit bis zum 2. Vatikanischen Konzil ein eigenes Ritual, wie eine neue Glocke geweiht werden sollte. Einer Taufe gleich wurde sie mit Weihwasser, dem Salz und Chrisam beigemischt war, innen und aussen gewaschen. Begleitet von Psalm 77 wurde die Glocke mit einem Leinentuch abgetrocknet und beweihräuchert. Die Liturgie ist dabei der Kindstaufe nachgebildet. Dem Schillerschen Diktum «Vivos voco, mortuos plango und fulgura frango» folgend konnte die Glocke nun zum Einsatz kommen, wobei die Liturgiereform des 2. Vaticanum auf die liturgische Vertreibung des Bösen, auf das fulgura frango, verzichtete. Für P. Theo geht es neben dem Hinweis auf die Liturgie einer «Glockentaufe», aber auch um das Bild der Dreifaltigkeit, das man aus einem Glockenklang ableiten kann: «Dreifaltigkeit meint den einen Gott, in dem sich Vater, Sohn und Heiliger Geist als Beziehungsgeschehen miteinander verbinden.» Das sehe er, der Musiker, auch im Glockenklang, in dem sich die Obertöne auch zu einem gemeinsamen, unteilbaren Wesen vereinigen. 

Am 8. Dezember werden das nächste Mal alle Einsiedler Glocken gemeinsam zu hören sein. So sieht es die Läutordnung auch heute noch vor.

Das Projekt wurde organisiert und durchgeführt von Francesco De Vecchi, P. Theo Flury, Bruder Alexander, Abaris Schild (4c), Melchior Eppenberger (1a), Klaus Zanker und Fredy Trütsch.

Link: https://youtu.be/V-ZhsIbnpuE (Einsiedeln Kloster SZ, Glocken_Umbau – 2015.)

Quellen: https://staatsbibliothek-berlin.de/uploads/media/Endfassung_Pr%C3%A4sentation-gesamt-22-07-131.pdf

Die Dreifaltigkeitsglocke von Einsiedeln

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