Auch über die Tränen

von Abaris Schild


Der Barock war nicht nur das Zeitalter des prächtigen Herrscherkults und der opulenten
Paläste. Es schwang auch eine tiefe Religiosität mit, welche durch die manchmal ad
absurdum geführte Verherrlichung der Vergänglichkeit und des Todes, aber auch des «Carpe
diem» unterstrichen wurde. Der Katholizismus lebte wieder auf.

Von Greiffenbergs Gedicht «Auch über die Tränen» bringt letztere Punkte in einer in ihrer Zeit
etwas unüblichen Form zur Geltung. Trotzdem ist das Werk ein Kleinod, dessen nähere
Betrachtung durchaus lohnenswert ist. Und dies nicht zuletzt, weil von Greiffenberg eine
Frau mit sehr tragischem Hintergrund war. Sie erlebte den Dreissigjährigen Krieg hautnah
mit und wandte sich immer mehr dem Religiösen zu, wie z. B. auch ihre Figurengedichte
zeigen. Dies wirkt sich entsprechend auf das vorliegende Sonett aus.


Denn in «Auch über die Tränen» geht es um die Bedeutung und die Eigenschaften der
Tränen. Die erste Strophe beschreibt die Tränen, wie man sie meistens kennt, welche den
schlechten Regungen wie Angst, Schmerz und Trauer entspringen, und ihre Wirkung, was z.
B. mit «Seufzer» ausgedrückt wird.

Eine Wendung nimmt das Sonett in der zweiten Strophe. Die Tränen seien eine Art
«Dämmerung», was metaphorisch für etwas nicht Identifizierbares steht, zwischen Furcht
und Trost. Es könne nach von Greiffenberg aber auch Glück bringen, zu weinen. Deshalb
folgt in der dritten Strophe ein Vergleich mit fruchtbarem Regen, welcher «Gott
widerspiegelt», also ein göttliches Geschenk sei. So sei manchmal auch das Augenwasser ein
Quell der Freude und Tugend und vertreibe schliesslich auch noch den kleinsten Rest des
Kummers, welcher die Flucht ergreift.


Es ist jedoch nicht nur der Kummer, welcher «flieht». Von Greiffenbergs Gedicht trieft
geradezu von Bilderreichtum und geschickt hineingeflochtenen rhetorischen Figuren. Angst,
Trauer und Schmerz werden durch zwei Metaphern ausgedrückt: der «Wolkenbruch» und
der «Trauer-Augen Regen» stehen für den Tränenfluss, der durch die «Ringerung», also eine
Verkrampfung des Herzens ausgelöst wird. Auch bricht man erst nach einer turbulenten Zeit
in Tränen aus, d. h. metaphorisch: «wenn sich die Winde gelegt haben». In der barocken
Dichtung wird ausserdem vieles durch Personifizierung ausgedrückt. So hat der Leser ein
zerspringendes, also verzweifeltes Herz, den fliehenden Kummer oder die Tränen, welche
die «Himmels-Festung durchdrangen» buchstäblich vor Augen. Mit letzterem Bild zum
Beispiel will die Dichterin besonders erfüllende Glückseligkeit ausdrücken.
Auf dem Höhepunkt, der vierten Strophe, erweichen die vielbesungenen Wässer sogar
Gottes Herz und bringen der Menschheit die Früchte, eine Metapher für «Erträge», der
höchsten Freuden.

Deswegen bilden die Tränen das stützende Leitmotiv, den Tragbalken des Gedichts. In den
einzelnen Strophen werden die schon besprochenen Facetten zu Hauptmotiven. Dies sind
hauptsächlich Angst, Schmerz, Trauer, und, dem gegenüberstehend, die wahren Tugenden
und Freuden. «Tugend» lässt sich in diesem Kontext zum Beispiel mit Ehrlichkeit und
Aufrichtigkeit umschreiben. Man kann auch durchaus zu behaupten wagen, die erfreuliche
Seite, welche von Greiffenberg so betont, habe einen religiösen, typisch barocken
Hintergrund, in dem Tränen als keusch und befreiend gelten.


Dem aufmerksamen Leser entgeht aber auch ein anderer barocker Aspekt nicht. Zu von
Greiffenbergs Zeit war Ordnung und Struktur sehr wichtig, deshalb sind die noch so
tiefgründigen Barockgedichte in strikter Form gehalten, in diesem Fall in der eines Sonetts.
Dieses spezielle Genre hat immer 14 Zeilen, welche einem besonderen Metrum folgen, dem
Alexandriner. Bei diesem Jambus betont man jede zweite Silbe. Auch das Reimschema ist
geregelt, jedoch wird es bei diesem etwas ungewöhnlichen Sonett in den letzten beiden
Strophen, die nach Vorgabe Terzette sind, nicht eingehalten. Der Reim wird hier nämlich
nicht umarmend gebildet, sondern liegt als Paarreim vor.


Nichtsdestotrotz ist dieses Gedicht ein besonderes Stück barocker Dichtkunst, in dem Form,
Klang, die unerschöpfliche Darstellungsvielfalt und die tiefgründigen Motive zu einem
überraschend vollkommenen Ganzen harmonisieren. Auch die historischen Hintergründe der
Autorin, insbesondere ihre religiöse Erleuchtung und Lobpreisung Gottes, verarbeitet diese
hier. Die manchen Lesern vielleicht verhassten Tränen werden nicht nur wie üblich
analysiert, sondern aus einem sehr interessanten, neuen Winkel betrachtet.

Link zum Text (abgerufen am 26.1.2021)

https://www.abipur.de/gedichte/analyse/25399-auch-ueber-die-thraenen-greiffenberg.html

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