Was verbirgt sich unter den Pflastersteinen?

Ein Vortrag im Internat zur Klosterplatz-Archäologie.

von Francesco De Vecchi

«Warum wächst das Erdniveau eigentlich stetig?» Diese Frage des Internatsschülers Melchior am Ende des Vortrages von Frau Marty im Internat hat es in sich. Es ist nicht leicht für uns heute nachzuvollziehen, weshalb sich unter dem aktuell entstehenden Klosterplatz noch viele Hinterlassenschaften verbergen. Wir sehen ja, wie die Bagger alle bestehenden Pflastersteine abtragen, Kies aufschütten und die Pflästerer darüber ein neues Bodenniveau schaffen.

Nicht immer aber war es so einfach, bestehende Bauten zu beseitigen. Gerade wenn man das Baumaterial nicht woanders verwenden konnte, trug man früher Bauten einfach ein wenig ab und schüttete dann die gesamte Fläche eben zu einem neuen Bodenniveau auf. «Planieren» nennt sich das, und es war ein willkommener Anlass für alles umstehende Gewerbe (Bäcker, Metzger, Handwerksbetriebe) sich seiner Abfälle zu entledigen.

Und hier kommen die Archäologen ins Spiel, konkret Frau Evelyne Marty, die Leiterin der archäologischen Ausgrabungen auf dem Klosterplatz. Solche Planien sind von grossem Wert für die Archäologie. In dem Planieschutt findet man Überreste kultureller Provenienz, die Rückschlüsse erlauben auf Menschen und Gewohnheiten vergangener Zeiten.

148 Schabmadonnen-Fragmente

In der Erde haben die Archäologen eine grosse Anzahl Schabmadonnen gefunden. Schabmadonnen sind Figurinen der wundertätigen Schwarzen Madonna von Einsiedeln, die die Pilger aus dem Heiligtum mitnahmen. Sie bestehen aus un- oder nur leicht gebranntem Ton, damit man sie von hinten her mit einem Messer abschaben und ins Essen mischen kann. Was wie eine blöde Idee tönt, ist in Wahrheit gar nicht so verkehrt: Auch heute noch werden Fastenkuren mit Heilerde und Ton angeboten, die wegen des hohen Mineralgehaltes wohltuend wirken sollten. Und Einsiedeln hat eine gute Tonerde, versichert Frau Marty. Davon kündet etwa auch die Firma Bodmer Ton. Frau Mary hat alle gefundenen Schabmadonnen ausführlich katalogisiert, typologisiert und so eine Studie zustandegebracht, die auf so grosses Interesse stiess, dass sie nun komplett publiziert wird. Denn offenbar ist das Interesse für Schabmadonnen gross, nur gibt es noch kein Referenzwerk dazu. Evelyne Marty hat es nun vorgelegt.

Historische, archäologische und dokumentarische Evidenz

Frau Mary hat während mehr als eines Jahres die Umgestaltung des Klosterplatzes archäologisch begleitet. Wo ein Bagger den Platz aufriss und Erde abtrug, wachte ihr Auge darüber, ob nicht etwas archäologisch Wertvolles zum Vorschein kam. «Es ist eine Rarität, dass eine so grosse Fläche aufs Mal geöffnet wird», sagt sie. Eine Fläche zumal, die historisch sehr gut dokumentiert ist: Es gibt Zeichnungen, Stiche, alte Photographien, die den Zustand des Klosterplatzes zeigen. Dazu kommen schriftliche Zeugnisse, Archivalien, Beschreibungen, einen gesetzlicher Erlass, die Einblicke ermöglichen in die Entwicklung des Klosterplatzes, so etwa der Schiedsspruch von 1419, durch den das Kloster verfügte, dass kein Gebäude innerhalb eines Sicherheitsabstandes vom Kloster weg erstellt werden dürfe. Aus Feuerschutzgründen.

Tausend Jahre Klostergeschichte sind also potentiell im Boden erhalten. Man konnte auf vielfältige archäologische Funde (so nennen Archäologen gefundene Objekte) und Befunde (so nennen sie gefundene Strukturen) gespannt sein. Und so ist es auch gekommen: Evelyne Marty und ihr Team fanden eine gebaute Struktur, mehrere Wasser- und eine Sickerleitung und natürlich die Reste früherer Pflasterungen. Diese Befunde zu datieren ist schwierig. Im glücklichsten Fall finden Archäologen eine Münze oder datierte Ziegel und wissen so, ab wann frühestens die Schicht gestanden haben muss. Sie begnügen sich damit, das Alter der Schicht einzugrenzen (ab wann, bis wann; oder vor wann nicht, nach wann nicht).

Mörtelgrube aus dem gotischen Münster?

Besonders sensationell war der Fund einer Mörtelgrube. Die Forscher hielten es für eine möglicherweise tausendjahralte Grube, in der Mörtel gemischt wurde für die alte gotische Klosteranlage. In den Mörtelschichten fanden die Archäologen jedoch ein Stück Holz, das sie von der ETH mittels C14-Methode datieren liessen. Die Untersuchung ergab, dass das Holz aus 1500/1650 stammt. Auf solche Ergebnisse warten die Archäologen gebannt, in diesem Fall mussten sie ihre Hypothesen aber fallen lassen.

Warum aber hat man keine älteren Reste gefunden? Einerseits hatten die Archäologen keine Hinweise darauf gefunden, denen sie hätten nachgraben müssen. Andererseits ist die nüchterne Realität: Würde man tiefer graben, käme möglicherweise Älteres zutage. Aber da es schliesslich nur darum geht, dass ein Platz neu gepflastert wird, trägt den Archäologen niemand ältere Bodenschichten ab. So stösst man nicht auf Mittelalterliches, sondern «nur» auf 400jähriges, aus der Barockzeit Stammendes. Das ist nicht unbedingt schlecht: Spätere Generationen haben so die Gelegenheit mit späteren Methoden ihre eigenen Erkenntnisse zu gewinnen und unsere Sicht auf die Vergangenheit zu überprüfen. Unsere neugierige kleine Runde im Internat darf also jetzt schon auf die nächste Platzrenovierung gespannt sein.

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