Schabbat Shalom! Das EF Religion besucht die israelitische Cultusgemeinde Zürich
Nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt befindet sich in der Nyschelerstrasse die Synagoge der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. Mitten zwischen modernen Bürogebäuden fällt das Gebäude im Getriebe der Zürcher Innenstadt kaum auf, auch wenn der historistische Baustil doch deutlich anders, ornamentaler, ist als die Funktionsbauten nebenan. Erst beim Stehenbleiben entdeckt der aufmerksame Besucher auch die hebräische Inschrift auf der Rückseite des Gebäudes und die Mesusa beim Haupteingang.
Kaum würde man vermuten, was für eine lebendige Gemeinde sich im Inneren befindet: Es ist die Einheitsgemeinde des Zürcher Judentums, „Israelitische Cultusgemeinde“ genannt. Mehrere tausend Mitglieder zählt die als Verein organisierte Gemeinschaft, die sich als orthodox versteht und eine der insgesamt vier jüdischen Gemeinden Zürichs ist.
Heute ist der Gemeindesaal besonders voll. Ein 13-jähriger Junge namens Linus Chaim feiert seine Bar Mitzwa. Dazu muss er erstmals aus der Tora vorlesen, respektive vorsingen; damit wird er nach jüdischem Recht ein Gemeindemitglied vollen Rechts. Auch viele Verwandte sind angereist, die Tante aus New York, ein Verwandter aus Israel und – so ein kleiner Witz des Rabbiners – auch ein Verwandter „from far away Basel“.
Am meisten hat mich die räumliche Trennung von Männern und Frauen überrascht. Dass es sich dabei um ganze Stockwerke handelt, hat mich doch etwas überrascht.
Selina Hoenes
Über den Verwandtschaftsgrad hinaus scheint man sich hier aber ohnehin zu kennen. Munter begrüssen sich die Frauen in den oberen Rängen der geschlechtergetrennten Synagoge und auch im Gemeindessaal, der sich nach der insgesamt dreistündigen Liturgie, immer mehr füllt, wird eifrig erzählt, gegrüsst („Schabbat Shalom“) und gelacht. Das aufwändige Buffet in der Mitte des Raums gerät bei dieser regen Betriebsamkeit beinahe in Vergessenheit.
Der eine oder andere Gast möchte sich seinen Appetit aber auch schlichtweg aufsparen, immerhin ist gerade Schabbat und auch zu Hause bzw. bei der Gastfamilie wartet ein reichlich gedeckter Tisch. So macht es auch Abt Urban, der heute mit einer sechsköpfigen Schülergruppe des Ergänzungsfachs Religion, in der Synagoge zu Gast ist. Bei einem Anlass der Jerusalem Foundation, einer Organisation, die sich für Begegnungsmöglichkeiten von Juden und Arabern in Jerusalem einsetzt, hatte er über die Vermittlung der Organisatorin dieser Veranstaltung einen schweizerisch-israelischen Rabbinatsmitarbeiter kennengelernt, Chaim Guggenheim Dieser ist nun an diesem Tag in der Synagoge der Gastgeber der Einsiedler Gruppe.
Um 9h15 beginnt so also das Programm für die vornehmlich katholisch, reformiert oder säkulare Schülergruppe: Besuch eines jüdischen Gottesdienstes, Erläuterungen für die männlichen Gruppenmitglieder durch Chaim, Erklärungen für die weiblichen Gruppenmitglieder durch ein befreundetes Gemeindemitglied, Fanny, im Hauptberuf Gerichtsschreiberin in St. Gallen. Dem Gottesdienst steht ein junger Rabbiner vor, der hebräische Psalmen rezitiert, mit seiner kräftigen Stimme vorsingt und für den jungen Linus auf Deutsch wohlwollende Segensworte spricht. Er, der junge Gymnasiast, möge sich nun seiner Reife, die er durch die Bar Mitzwa erlangt hat, bewusst werden und seine vielfältigen Talente in die Welt bringen. Seine Eltern seien ihm da ja auch ein Vorbild, so der Rabbi, „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“
Ich habe viel Neues über die konkrete Gestaltung beziehungsweise über den Ablauf einer Bar Mitzwa lernen dürfen. Beispielsweise wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt Bonbons von den Frauen auf die Männer hinuntergeworfen.
Lisa Ulrich
Auch der Rabbiner selbst ist der jüdischen Tradition gemäss ein stolzer Familienvater. Sein rund 4-jähriger Sohn läuft zeitweise fröhlich zu seinem Vater hin und sucht seine Nähe. Der Vater nimmt das mit sichtlicher Gelassenheit auf. Der Junge konkurriere eben mit der Gemeinde um seine Aufmerksamkeit, wird er später sagen.
Zwei Bücher tragen alle Gottesdienstbesucher mit sich. Es ist ein Band mit den fünf Büchern Mose, der Tora und ein dünneres Gebetsbuch, das vor allem Segenssprüche, „Kiddusch“ enthält, alle Bücher zweisprachig auf Hebräisch und Deutsch. Die Sprachkenntnisse sind bei den Gemeindemitgliedern unterschiedlich, so die Erläuterung von Fanny. Manche beherrschen Hebräisch sehr gut, andere kaum. Auch die Frequenz des Gottesdienstbesuchs sei sehr unterschiedlich. Manche kommen nur drei Mal pro Jahr in die Synagoge, manche, vor allem im Trauerjahr nach einem Todesfall in der Familie, auch täglich. Damit der Gottesdienst stattfinden kann, sind dabei 10 Männer nötig.
Mich hat die viele Symbolik, die sie hatten, überrascht. Sie haben sehr viele und auch lange Gebete gesungen. Es war ein sehr schönes und wertvolles Ereignis.
Elena Züger
Für das EF Religion ist nach Gottesdienst und Buffet auch noch nicht Schluss, immerhin spielt sich jüdisches Leben auch zuhause ab. Und so macht man sich zu Fuss – am Schabbat dürfen orthodoxe Juden keine Verkehrsmittel benutzen – auf in die Enge, wo Chaim gemeinsam mit seinem Bruder Daniel ein aufwändiges Schabbat-Essen vorbereitet hat. Es mangelt an nichts: Israelischer Wein, koscherer Traubensaft, ein Eintopfgericht mit Markknochen und ganzen Eiern, die für den Schabbes typischen Challa (Zopfbrote), zweierlei Kuchen. Eingerahmt wird das Essen durch den Segensspruch durch den Gastgeber, der auch am Ende noch einmal zum Kiddusch über das Essen anstimmt.
In welcher Form man hier noch Danke sagen könnte, fragt Abt Urban, immerhin sind etwa kulinarische Geschenke aufgrund der Koscher-Richtlinien für Laien gar nicht so einfach zu besorgen. „Ein Besuch im Kloster Einsiedeln“, meint Chaim sogleich. Das würde er sich sehr wünschen. Einsiedeln kenne er bisher nur vom Schlittenfahren, ein Blick ins Kloster wäre da also etwas Neues und: eine neuerliche Möglichkeit, diese Begegnung fortzusetzen.
Unterdessen haben durch das Projekt Likrat auch zwei Jugendliche das EF Religion im Schulzimmer besucht und den Stiftsschülern im Gespräch nähergebracht, was es heute heisst, als junger Menschen in der Schweiz das Judentum zu leben.