Populismus in der griechischen Antike
Ein Bergbauer hat sich in die Stadt begeben, weil dort das Finanzamt Abgaben verlangt. Es ist der Auffassung, dass das karge Bergland Staatsbesitz sei.
Unser Bergbauer erzählt zu Hause zurückgekehrt seine Erfahrungen aus der Stadt: Die Menschen waren gerade im Theater versammelt und irgendwelche Redner sprachen zu ihnen. Den einen folgten sie aufmerksam, die anderen liessen sie nicht einmal zu Wort kommen, weil ihnen das, was sie zu sagen suchten, nicht taugte. Der Bauer selbst wurde vor die Volksmenge gezerrt und von irgendeinem Redner scharf angegangen: Dass er sich das gesamte Bergland mit einem Komplizen unter den Nagel gerissen habe und dass er es schamlos abernte, sich daran bereichere, dass er sich Reichtümer aufhäufe und Immobilien, ja dass er gar bereits die Expansion zum Meer hin plane. Damit man das aber nicht merke, kleide er sich ärmlich und mache einen bedürftigen Eindruck. Unser Bergbauer wusste nicht, wie ihm geschah, und habe sich unter solchem Eindruck bloss zurückziehen können. Die Leute, berichtet er, hätten ihm etwas Böses antun wollen.
Dieser Textausschnitt aus dem Euboiikos von Dion Chrysostomos (zweite Hälfte erstes Jahrhundert n.Chr.) lässt sich als polpulistische Musterrede analysieren. Wir haben herausgefunden, dass Stichworte gehäuft vorkommen, die auf Gehässigkeit und eine aufgeheizte Stimmung deuten, so etwa:
ὁ ὄχλος der Pöbel,
δημόσιος dem Volk gehörig,
τὰ ἀγαθά der Reichtum,
πολλοὺς ἤδη ἐνιαύτους schon viele Jahre lang
κορυφαίος der Komplize, Anführer,
κατανέμομαι sich zuteilen, unter den Nagel reissen,
ὅδε ὁ ἄνθρωπος dieser Mensch hier,
φαῦλος schäbig,
ἀπάτη Betrug
Gleichzeitig kann man mit der stoischen Affektlehre nachweisen, dass Populisten nicht mit rationalen Gründen, sondern aus der Emotion heraus argumentieren – ἐχαλεπαίνω ich empöre mich, ὠργίζομαι ich gerate in Zorn – und sogenannte «fluff words» verwenden, nebulöse, allgemeine Begriffe, die sich dazu eignen, die Phantasien der Leute anzuregen, dabei die Emotion, den niedrigen Instinkt anregen, wie «schon viele Jahre lang», «viele Felder», «ich meine», «ich habe gehört, dass».
Knapp fasst der Bergbauer zuhause die Wirkung der Rede zusammen: «Ich war ratlos, denn die Leute wollten mir etwas schlimmes antun.»