Stell Dir vor…

Valentin Müller

Die Menschheit hat schon viele Probleme gelöst und Herausforderungen gemeistert – Kriege gibt es aber immer noch. Kann man den Krieg „bekämpfen“?

Auf die Frage „Was wünschst du dir?“ antworten viele mit der Floskel „dass es keinen Krieg mehr gibt.“ Es klingt nach einem nicht realisierbaren Wunsch und nach einer Ausrede, weil ihnen sonst kein anderer Wunsch einfällt. Denn jeder weiss: Krieg gibt es schon, seit es die Menschen gibt und es wird ihn auch immer geben (oder zumindest solange, bis sich die Menschheit in einem Atomkrieg selber ausgelöscht hat).

Doch stimmt dies überhaupt? Oder gibt es ein „Gegenmittel“ gegen Krieg? John Lennon hatte schon 1971 in seinem weltbekannten Song „Imagine“ („Stell dir vor“) besungen, wie eine Welt in Frieden seiner Meinung nach zu erreichen wäre: „Imagine there’s no heaven (…), Imagine there’s no countries (…) and no religion too (…), Imagine no possessions (…)“

Doch ist dies tatsächlich die Lösung? Keine Länder, keine Religionen und kein Besitz?

Keine Länder

Im Hochmittelalter war die Schweiz in mehrere Gebiete unterteilt; an einem Ort waren die Habsburger, woanders die Zähringer, im Osten die Kyburger und im Westen die Savoyer. Da alle von ihnen möglichst viel Land besitzen wollten, wurde fast andauernd irgendwo Krieg geführt.

In der heutigen Schweiz ist „Krieg“ für viele glücklicherweise ein Fremdwort. Weshalb? Weil sich ein paar Kantone zur Eidgenossenschaft zusammenschlossen und sich um ein Miteinander statt ein Gegeneinander bemühten. Nach und nach setzte sich diese Staatsform durch und so entstand, was heute ist: Ein friedliches Land, in dem Kriege undenkbar sind.

Wenn man sich die Schweiz nun als Welt vorstellt, so dass jedes Land dieser Welt ein Teil davon ist, würde dann das gleiche geschehen wie damals? Würde, wenn sich die Länder zu einem einzigen zusammenschliessen, eine friedliche Welt entstehen? Ein globales Miteinander, in dem nationale Grenzen keine Rolle mehr spielen?

Ohne Länder gäbe es weniger Punkte, über die sich die Politiker streiten müssten; Flüchtlingspolitik bräuchte es nicht mehr (denn es gäbe ja keinen Krieg mehr) und internationale Abkommen wären überflüssig. Doch es gäbe immer noch genug Punkte, über die sich die Politiker streiten könnten.

Alle  Staaten der Welt müssten sich etwa auf bestimmte Gemeinsamkeiten einigen, unter anderem auf die gleiche Politik, die gleiche Regierungsform etc. Das klingt nicht nur nach einer Illusion, es ist wohl auch eine. Denn auch wenn die Welt nicht mehr in Länder unterteilt wäre, eine Regierung oder zumindest etwas Regierungsähnliches bräuchte die Welt immer noch. Spätestens, wenn es darum ginge, diese Regierung zu bilden, würde dann wohl der 3. Weltkrieg ausbrechen. Die Schweiz würde eine direkte Demokratie, Nordkorea eine Diktatur, die Türkei einen autokratisch geführten Staat, Amerika ein Präsidialsystem und Dänemark eine parlamentarische Monarchie anstreben. Wie liessen sich all diese Interessen vereinen?

Am wahrscheinlichsten wäre wohl, dass das stärkste Land die Richtung vorgeben würde. Das wäre dann wohl Amerika oder China. Ziemlich fair ist das nicht. Doch angenommen auch dieses Problem würde irgendwie gelöst, dann gäbe es da noch die Frage, wo die Regierung ihren Sitz hätte. In Washington? Das ginge den 193 anderen Ländern aber dann wohl gewaltig gegen den Strich. Oder sollte der Gerechtigkeit halber in jedem ehemaligen Land ein Regierungssitz stehen? Dann wäre man allerdings wieder da, wo man heute ist…

Keine Religion

Auch wenn es sich nicht genau sagen lässt, wie viele Menschen auf dieser Welt schon wegen Kriegen zwischen verschiedenen Religionen starben, eins ist auf jeden Fall klar: Es waren schon unzählige Millionen. Sogar Tenzin Gyatso, der Dalai-Lama, sagte nach den islamistisch motivierten Anschlägen in Paris am 13. November 2015: Wäre die Welt also friedlicher, wenn die Religionen abgeschafft würden?

Das Abschaffen der Religionen würde wohl alleine schon einen Krieg auslösen; denn nur ein Bruchteil der Gläubigen würde ihren Glauben einfach so beiseite legen. Stattdessen würden sich unzählige illegale religiöse Gruppierungen bilden. Nicht ausgeschlossen, dass einige davon auch Anschläge auf diejenigen ausüben würden, die ihnen die Religion verboten haben.

Und ist es überhaupt unbedingt nötig, die Religionen abzuschaffen? Laut der „Enzyklopädie der Kriege“, welche unzählige Kriege der Vergangenheit auflistet, sind nur 123 von 1763 Kriegen tatsächlich religiös motiviert. Zwar ist jeder einzelne Krieg einer zu viel, doch der grösste Kriegsfaktor sind Religionen allemal nicht, vielmehr sind es soziale Unterschiede, nationalistische und kapitalistische Interessen. Wenn es doch zwischen Angehörigen verschiedener Religionen zu einem Krieg kommt, liegt das meist nicht an den Religionen selber. Vielmehrs sind es einige wenige, die die Religionen ausnutzen, um in deren Namen andere anzugreifen und andere Gläubige dazu animieren, mit ihnen zu kämpfen, unter dem vermeintlichen Grund, die richtige eigene Religion gegen eine böse andere zu verteidigen. Ein Religionsverbot würde also Milliarden Menschen bestrafen, die gar keine gewaltsamen Absichten haben.

Dazu eine nicht ganz ernstzunehmende Anekdote: 1915 musste der damals 17-jährige Leonard Knight Lin den Krieg ziehen. Seine Tante gab ihm eine Bibel mit, die Knight während dem Krieg immer bei sich trug. Als Knight einmal von feindlichen deutschen Soldaten beschossen wurde, traf die Kugel nicht auf Knights Herz, sondern auf die dicke Bibel, die Knight in seiner Brusttasche trug. Die Kugel bohrte sich durch die Bibel – diese war aber so dick, dass die Kugel darin stecken blieb. Leonard Knight überlebte den Krieg – wegen seiner Bibel.

 Kein Besitz

Ein Leben ohne Besitz, das ist für viele schlicht nicht denkbar. Besitz ist für die meisten von uns sogar das mit Abstand Wichtigste: das Auto, das Handy, der Computer, teure Markenkleider, das Haus oder die Wohnung und vor allem Geld. Was bliebe überhaupt noch, wenn man das alles wegnähme? Diese Frage stellte einmal der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm: „Was bleibt von dir, wenn man dir all deinen Besitz genommen hat?“ Die meisten müssten wahrscheinlich sehr lange überlegen, um auf diese Frage eine Antwort zu finden, falls es dann überhaupt eine gäbe.

Trotzdem ist das Leben ohne Besitz für viele Menschen auf unserem Planeten die Realität. Vor allem aber gibt es in diesen armen Gegenden eher Krieg als in den reicheren Gegenden. Wäre es also nicht total dumm, Besitz zu verbieten? So wären ja alle arm, also würde es noch mehr Krieg geben. Oder etwa nicht?

Oder ist es nicht die Armut an sich, die Menschen gegen andere aufbringt, sondern sind es nicht viel mehr die sozialen Unterschiede, also das Sehen und Spüren, dass die anderen (oft unverdient) «mehr» haben?  Wenn aber niemand mehr Besitz hätte, gäbe es folglich auch keine Ungleichheiten, also auch keinen Kriegsgrund (oder zumindest weniger als heute). Auch dieses Szenario wäre denkbar.

Doch ist so ein Leben ohne Besitz oder zumindest ohne privaten Besitz überhaupt möglich? Auf jeden Fall würde man ein hartes „Back to the roots“-Programm durchleben müssen. Das Leben sähe ohne Besitz ganz anders aus; man würde dann wohl in Gemeinschaften leben, in denen alle das machen, was sie am besten können (und gerne machen) und einander unterstützen; wer gut und gerne unterrichtet, führt die Schule, wer medizinisch interessiert ist, arbeitet als Arzt oder Krankenschwester. Das Essen bekommt man vom Bauern, welchem man im Gegenzug alle zwei Wochen die Haare schneidet.

Tatsächlich könnte dieses System funktionieren. Das aber auch nur, wenn alle mitmachen und an andere genauso fest wie an sich selbst denken. Sonst könnte es beispielsweise geschehen, dass ein Tetraplegiker, der keine Arbeit ausführen kann, vom Bauer kein Essen bekommt, denn er kann dem Bauern ja keine Gegenleistung erbringen. Für jene, die keine Leistung erbringen können, müsste also auch solidarisch gesorgt sein.

Wenn es auch keinen Lohn mehr gäbe, weil man ja seine jeweiligen Talente eintauschen könnte, würde aber wahrscheinlich so manch einer sein Leben lang auf der faulen Haut liegen und keinem Beruf nachgehen. Wenn aber alle an alle denken, dann wäre eine Welt ohne Krieg tatsächlich möglich – auch wenn es vordergründig unrealistisch erscheint.

 Es liegt an uns

 Einfach ist es auf keinen Fall, eine Welt ohne Krieg. Eine Welt ohne Länder ist fast unmöglich zu erreichen, da eine gemeinsame Einigung auf die konkrete Ausgestaltung dieser staatenlosen Welt kaum vorstellbar ist. Eine Welt ohne Religionen würde die Mehrheit bestrafen statt bereichern. Und auch eine Welt ohne Besitz wäre sehr schwierig zu erreichen, da wohl so mancher nicht bereit wäre, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern auch die anderen mit zu berücksichtigen. Wenn auch unrealistisch – denkbar wäre so eine Welt aber dennoch.

Es liegt an uns allen. Die Welt wäre auf jeden Fall schon besser, wenn man mit dem simplen (freilich auch schwierigen) Motto „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ leben würde. Wenn das dann alle tun, ja, dann gibt es auch keinen Krieg mehr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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