Charles Lewinsky: Der Wille des Volkes. Kriminalroman (2017)

 

Das Grundszenario ist klassisch: Ein Mann wird ermordet, die Sache wird von der Polizei vertuscht, ein Journalist ermittelt und stösst auf eine Politaffäre mit zentralen Beteiligten an den höchsten Stellen der Macht. Und natürlich darf die Femme Fatale nicht fehlen, die den Helden auf die falsche Spur schickt. Soweit so altbekannt. Was das Buch wirklich besonders macht, ist sein Protagonist: Kurt Weilemann, pensionierter Journalist, der den «guten alten Zeiten» nachtrauert und von seinen, inzwischen längst vergangenen, journalistischen Heldentaten träumt. Er verleiht dem Buch seinen Charme und Humor. Einsam und verbittert hockt er in seiner Wohnung und wartet auf das Telefon, wenn die Zeitung einen Nachruf auf einen verstorbenen Kollegen bestellt. Eines Tages sitzt am anderen Ende der Leitung ein alter Kollege von ihm, Fritz Derendinger, den er nie besonders gut leiden konnte, sich aber als Alter Ego von ihm entpuppt. Derendinger will sich mit ihm verabreden. Weilemann geht widerstrebend darauf ein. Während des Treffens redet Derendinger so unverständlich, dass Weilemann annimmt, dass er verrückt ist. Wenig später ist Derendinger tot. Weilemann vermutet Mord und stösst tatsächlich auf ein Komplott…

Bemerkenswert ist, wie Lewinsky das Genre des Kriminalromans beherrscht, obwohl „Der Wille des Volkes“ sein erster ist. Gekonnt verbindet er das Krimiszenario mit dem Bild einer Schweiz in nicht allzu ferner Zukunft, in der sie allein von einer national-populistischen Partei regiert und überwacht wird, eine Dystopie in der Tradition von Orwells «1984», an den das Buch besonders im Schlussteil angelehnt ist. Auch wie Lewinsky die Sprache einsetzt, ist beachtlich: Weilemann verliert sich in seinen Gedanken, wenn er über die Bedeutung von Floskeln nachsinnt und (ganz der Journalist) sich selber und andere im Kopf korrigiert. Ein gutes Buch, exzellent geschrieben und klug aufgebaut. Es beweist endgültig, dass Lewinsky zu den grössten Schweizer Autoren gehört.

 

Benedikt Aegerter (3c)

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