Die Odyssee im Opernhaus Zürich und wir sind dabei

Von Cosima Hoppe, Alina Iten und Emilia Langenauer (3a)

Die Oper erzählt die Geschichte der Heimreise des Königs von Ithaka nach dem Trojanischen Krieg, die «Odyssee». Die Inszenierung beginnt mit dem Auftritt seiner Frau, Penelope und ihrem Wunsch, dass Odysseus bald wieder heimkehrt. Ihr Sohn Telemach teilt diesen Wunsch. Die Oper berichtet über die Abenteuer, welche Odysseus und seine Gefährten unter der Leitung von Athene erleben: Dem einäugigen Polyphem, der dann bald auch dieses eine Auge nicht mehr hat, dem Seesturm, welchen Poseidon ihnen beschert, Kirke, die seine Gefährten in Schweine verzaubert, dem Besuch Odysseus in der Unterwelt, von Helios, der aus Wut über seine geschlachteten Rinder einen Feuersturm schickt, so dass der König als Einziger überlebt und schliesslich Calypso, bei der er noch lange verweilt. Jedoch schaffte es Athenes Liebling, als Bettler verkleidet, zurück in die Heimat, wo er einen Bogen spannt, den nur er spannen kann, und wird somit von seiner Frau Penelope wiedererkannt.

Die Kostüme, entwickelt von Lisa Brzonkalla, wirkten moderner, als von einer Oper, die im antiken Griechenland spielt, zu erwarten war. Odysseus und seine Gefährten waren allesamt in dunkelgrün gekleidet einschliesslich roter Stofffetzen, die auf die Wunden verwiesen. Doch über das schlichte Kostüm wurde immer wieder etwas anderes darüber geworfen. Unter anderem Schaffelle bei der Flucht vor Polyphem oder auch Schweineanzüge für die von Circe verwandelten Gefährten. Besonders eindrücklich war das Kostüm von Penelope, ein weisses, steifes Kleid, aus dem sie bei Odysseus’ Heimkehr herausstieg. In einem leuchtend blauen Kleid umarmte sie ihren lang ersehnten Mann. Die beiden Götter, Athene und Poseidon, hätten nicht unterschiedlicher gekleidet sein können: Poseidon oberkörperfrei mit einem Rock aus Plastikabfall und Athene in einem silbernen Anzug, der an eine Rüstung erinnert und sie sehr kämpferisch wirken lässt.

Für die musikalische Untermalung der Sänger und Sängerinnen sorgte die Philharmonia Zürich. Die Musik bestand dabei nicht aus prägnanten Melodien oder Popmusik, was man vielleicht von einer Kinderoper erwarten würde, sondern aus Operngesang, der hauptsächlich von Trommeln, verschiedenen Blasinstrumenten und hypnotisierenden Chorgesängen begleitet wurde. Auch eine Harfe und ein Akkordeon waren herauszuhören.

Die Kulisse bestand aus drei einzelnen, sich drehenden, weissen Ringen, die nach vorne hin grösser werden, also einer Art Trichter. Dieses Bühnenbild wurde wohl von der Charybdis, einem mythologischen Seeungeheuer in Form eines riesigen Strudels, der Schiffe verschluckt, angeregt. Während der Aufführung verwandelte sich die Kulisse mithilfe von Videoprojektionen auch in die Höhle des einäugigen Polyphems oder in die Unterwelt.

Die Odyssee ist eines der beiden berühmtesten Werke des griechischen Autors Homer, der um ca. 700 v. chr.  im griechischen Kleinasien, der heutigen Türkei, gelebt haben soll. Die genaue Datierung des Epos ist umstritten, die Herkunft aber ziemlich sicher, da beide Epen Homers in ionischem Dialekt verfasst sind. Heute glauben manche Wissenschaftler aber auch, dass Homer nicht ein einziger Dichter, sondern ein Dichterkollektiv war, das alte Volkssagen schriftlich festhielt. Der Trojanische Krieg wird nämlich auf das 12/13 Jh. v. chr. datiert, wenn es ihn denn überhaupt gegeben hat, also lange vor Homers Zeit.

https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/die-odyssee/season_88869/media

Abb: Philipp Marx (2b) Lateinschüler von P. Mauritius; Alina Iten, Emilia Langenauer und Cosima Hoppe, Teilnehmerinnen des Kursfaches «Griechischrezeption» von Francesco De Vecchi


Ergänzend die Einschätzung von Francesco De Vecchi: Was ist von einer Kinderoper zu erwarten?

Ich meldete mich als Begleitperson mit der wenig aufregenden Erwartung auf eine Kinderoper. Viel habe ich nicht erwartet, vielleicht einwenig Klamauk und Kitsch für Kinder. Gottlob bin ich freundlich beschenkt worden.

Bei der Komposition handelt es sich um ein Auftragswerk des Niederländers Leonard Evers, sie zu verstehen, fiel meinen an der überkommenen Musik geschulten Ohren erwartungsgemäss schwer. Mit ihr konnte ich mich nicht anfreunden. Das grosse Orchester mit vielen Schlaginstrumenten zeitigte unerwartete Klänge, zu Momenten reine Schlagzeugmusik, bald spielten in allgemeinem Silentium ein Xylophon, dessen harter, trockener Klang von der Decke wiederhallte, sodass auch ein Kind vor mir sich verwundert umsah. Ein junger Eduardo Strausser dirigierte die Philharmonia Zürich mit Elan und Freude. Überhaupt fällt an der Produktion auf, dass die Mitwirkenden sehr jung sind, vom Dirigenten über die Solisten zum Chor. Und das Publikum nicht minder. Als wir uns hinsetzten, sah ich mich im Raum um, und in den Logen winkten Kinder anderen, die im Parkett Platz nahmen, ich hatte kurz die Vorstellung einer barocken Gesellschaft, wo exzentrische Damen aus den Logen gönnerhaft Handküsschen verteilen.

Mir als klassischem Philologen gefiel die Vorstellung gut. Ich habe mich gut unterhalten und sehr amüsiert über die vielen witzigen Einfälle, die sich Dramaturgie und die Regie haben gelegen sein lassen. Witz ist dabei durchaus im Sinne des Stoffes. Stellt man die Ilias und die Odyssee nebeneinander, so ist die eine im ernsten, erhabenen Heldenton einer Tragödie gehalten, wohingegen die Irrfahrtgeschichte tatsächlich voller komischer Elemente ist: Da ist ein Mann, der versucht nach Hause zu gelangen, sein Zuhause ist ein herrenlos desolater Hofstaat. Sein Charakter ist kluge Neugierde und Abenteurerei, wie geschaffen für die buntesten Grenzerfahrungen erotischer, mystischer, abgründiger Art. In Homers Odyssee füllen die bekannten Abenteuer mit den Laistrygonen, Lotophagen, mit Polyphem, der Zauberin Kirke, der Verführerin Kalypso vier Gesänge aus. Pikant an ihnen ist, dass sie von Odysseus selbst erzählt werden, der homerische Sänger legitimiert sie nicht, sondern gibt des Odysseus direkte Rede wieder. Handelt es sich also bei diesen unglaublichen Geschichten um Seemannsgarn?

Odysseus erzählt sie aus zwei Veranlassungen: Einerseits muss er sich nach mehreren Tagen als Gast bei den Phaiaken ausweisen, wer er ist, und wie es dazu kommt, dass er alleine, ohne Schiff noch Kleider zu dieser Insel kommt. Andererseits hängt es von seiner Erzählkunst ab, wie viel Gastgeschenke ihm die Phaiaken mit nach Hause geben. Diese Ausführungen zum homerischen Plot sind wichtig, um die Grundzüge der Inszenierung zu würdigen. Die narrativen Ebene Homers einerseits und andererseits die der Odysseus-Erzählung werden etwa durch einen Vorhang thematisiert, der ein Guckloch in die Erzählung eröffnet. Oder durch Virtual Reality-Hauben. Während eine junge Zuschauerin darin eine billige Kritik an der Jugend verstand («Stellt doch endlich mal Eure Handys zur Seite!»), zeigt der Kniff eine freie Interpretation der Lotophagen: Den Willen zum selbstbestimmten Leben durch sedierende Speisen ablenken und schwächen.

Mit Freude am Scherz lässt man Poseidon im Plastikmüll baden, er interessiert sich, was an Schwemmgut ihn umgibt, und die Inszenierung kostet den Einfall aus, ohne ihn dadurch zu banalisieren, noch ihn zu bemühen. Gleiches gilt für Kirke. Sie ist charakterlich nicht ausgezeichnet, die Verwandlung in Schweine erspart man uns, stattdessen schnippt sie Odysseus an und befielt dem einsamen Seemann vieldeutig: «Werde ein Schwein!» Natürlich ist das grotesk, aber billig wirkt der Humor nicht, weil er gut gemacht ist, indem er eine zweite Ebene öffnet und Plakatives ausspart – schliesslich ohne jegliche Anzüglichkeit auskommt, was geradezu erfrischend ist.

Alle Szenen spielen sich auf einem einzigen abstrakten Bühnenbild ab, das aus drei gigantischen Hamsterrädern besteht, die bald einen wogenden Schiffsbug, bald einen Höhleneingang darstellen, bald den Untergang in die Unterwelt. Auch hier werden die Möglichkeiten nicht billig ausgekostet, sondern geschmackvoll in Szene gesetzt. Eine Anspielung auf das offensichtliche Hamsterrad bleibt beispielsweise ganz aus. Dann ist da schliesslich noch Penelopeia, des Odysseus Gemahlin, die hin und her gerissen ist zwischen dem Gelage der Freier und der unreifen Kindheit des Telemachos. Sie erstarrt in weihnachtsbaumhafter Corsage, aus der sie sich herausschält, als sie den Odysseus erkennt. Das Korsett sinkt in sich zusammen, während den Freiern ihr Schicksal bewusst wird.Gegen Ende ist das Stück stark gerafft und beinah abgewürgt. Die Telemachie, das Erwachsenwerden des Telemach, bleibt ausgespart, obwohl sie für junge Zuschauer erbaulich wäre. Gelohnt hat sich der Besuch der Vorstellung aber dennoch.

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